29. Die Rangordnung
der Werte bestand bis etwa 500 vor dem Idioten; dann wurde sie durch eine
perverse, Idiotie vorbereitende Ideologie umgedreht. Bis dahin galt: Wenn der
Mann redet, schweigt die Frau. Der Wechsel deutet sich schon bei Sokrates an: Wenn
er von seinen „philosophischen“ Exzessen nach Hause kam, wurde er von Xanthippe
(Falbe Stute) ohne Ende beschimpft - derselben, die später im Gefängnis mit
ihren Kindern Terz machte, - nein, mit Ende: sie übergoß ihn mit Wasser
(Urin?), der Narr aber sprach: Wenn Falbe Stute „donnert“, muß sie auch regnen!
(Diogenes Laertius, II, 36) Derlei Witzigkeit ist alles, was von den alten
Heroen übrig ist, und heute, 2500 Jahre später, ist die Narrensaat, von dem
Gottesidioten in Religion überführt, voll aufgegangen: man versucht, mich
mundtot zu machen.
Doch woher die Rangordnung und meine und Dávilas
abgrundtiefe Verachtung des rohen Haufens? Bei Naturvölkern ist es ja so, daß
eine Gleichheit aller als selbstverständlich angenommen wird, selbst wenn sie
sich durch ihren Status in der Organisation unterscheiden. Ist also der Wille
zur Selbstverantwortlichkeit ein kulturelles Phänomen, das mit der Kultur auch
wieder verschwindet, was sich zurzeit zu ereignen scheint? Die Masse (mobile
vulgus) sackt nach dem Durchgang durch die Kultur, die Menschen im höheren
Sinne emporzüchtete, wieder in die ursprüngliche Gleichheit zurück, doch jetzt,
nach Zerstörung der natürlichen Vernunft, „um tierischer als jedes Tier zu
sein“.
Ich glaube, daß es der perverse Rückschritt am
demokratischen Fortschritt ist, was mich so gegen ihn aufbringt: die Verhöhnung
der unschuldigen Gleichheit durch ein ideologisch freigesetztes dünkelhaftes
Pack, aus dem jeder Einzelne denkt, etwas Besseres zu sein. Daß man das Pack
adeln könne – durch Theater!! – war eine gründlich falsche Hoffnung Schillers. Man denke nur, was aus dem Filmtheater
geworden ist, seit sich der Amerikaner in seiner skrupellosen Geldgier seiner
angenommen hat!
30. „We are the world, we are the
people“. – Bei diesen Wohltätigkeits- oder Gedenkveranstaltungen, bei denen
alle Popstars gemeinsam für einen “guten Zweck” auftreten, kann man bei
wandernder Kamera die Idiotie jedes Einzelnen ganz unverdeckt in
geradezu medizinischer Deutlichkeit sehen. Da sich alle durch die Gruppe
gedeckt fühlen, geben sie sich keine Mühe der sorgsam-„ernsthaften“
Profilierung, sondern legen die ganze Verzerrung ihrer schwachsinnigen Existenz
wie verzückt in den Augenblick, der sie als Teilnehmer dieses Stelldicheins
zeigt: eine Grimasse verzerrter und ekelhafter als die andere.
31. Nach dem Dritten
Reich weiß man, daß fast jeder Deutsche ein potentieller Blockwart ist. Das
Dritte Reich war gewissermaßen eine Stunde der Wahrheit. Es hat eigentlich nur
eine wichtige Erkenntnis ermöglicht.
32. Obesed people geben, wenn sie andere Völker überfallen,
trotz militärischer Überlegenheit immerhin ein gutes Ziel für verteidigende
Kämpfer ab. Mo Dse sagt: „Selten nur sterben ausgezeichnete Menschen nicht an
dem, was sie auszeichnet.“ Vielleicht sterben aber auch die gemeinen letztlich
an ihrer Gemeinheit, ja, gewiß ist es so!
33. „Warum
„Brigantenunwesen“? Wenn 1870 ein Franktireur einen preußischen
Verpflegungswagen überfiel und die Besatzungssoldaten umlegte, wurde er als
Held gefeiert. Natürlich, wenn ich das sagte, würde man aufspringen: „Wie
können Sie das vergleichen …?“ Nun, ich vergleiche eben, und ich setze sogar
gleich. Wie es auch um seine Kultur und den Grad der Zivilisation bestellt sein
mag, ein überfallenes Volk bleibt stets ein überfallenes Volk. Und wenn es
danach trachtet, dem Eroberer soviel Schaden wie möglich anzutun, so nennt der
elementare gesunde Menschenverstand das legitim. Gerade das empört mich bei uns
Franzosen: daß der Gegner stets als Bösewicht hingestellt wird. Gleichgültig,
mit welchen Mitteln, sogar mit den gemeinsten, will man die Fiktion
aufrechterhalten, wir allein hätten das Recht auf unserer Seite.“ (Montherlant,
Die Wüstenrose, München 1981, S. 373) Ich erlaube mir, die Anwendung dieses
Gedankens auf Afghanistan zu machen, auf den Irak und andere überfallene
Länder.
34. In Deutschland
lauert in fast jedem ein kleiner Robespierre. Fontane hat das gewußt. Es ist im
Grunde der einfältige Ede in „Unterm Birnbaum“ der Prototyp dieses Deutschen.
Das kommt daher, weil der Pöbelmann durch Moral nach oben gekommen ist und mit
ihr nun die Guillotine bedient.
35. „„Niebuhr hat
recht gehabt“, sagte Goethe, „wenn er eine barbarische Zeit kommen sah. Sie ist
schon da, wir sind schon mitten darinne; denn worin besteht die Barbarei anders
als darin, daß man das Vortreffliche nicht anerkennt.““ (Eckermann unter dem
22.3.1831)
36. Latrinenparolen.
– Vom Volk der Dichter und Denker … Das christliche Abendland ist von Anfang an
das Scheißhaus des Altertums und seiner kultivierten Völker gewesen, und die
Deutschen haben seine Wände mit immer absurderen Latrinenparolen beschmiert.
Früher las man sie „an den buochen“, heute springen sie aus den Briefkästen und
hageln aus den Medien.
37. Ich glaube, daß
der Unterschied zwischen der animalischen Art Mensch und der menschlichen
darin besteht, daß der animalische Mensch seine Lebenszeit zu überbrücken
sucht, da er sie mit einem „unglücklichen Bewusstsein“ à la Sartre erlebt. Der
menschliche Mensch, zumal der auf dem Weg zum Übermenschen, nutzt sie zu einem
von Seinsnähe bestimmten kreativen Leben. Man soll das nicht umgekehrt sehen!
Obgleich Schopenhauer diesen Unterschied grundsätzlich sieht, vernachlässigt er
ihn sehr oft, woraus sich der Pessimismus seiner Philosophie erklärt. Er
empfindet abendländisch-platonisch eine Gleichheit der Menschen und
schreibt dann über die Art Mensch, von der er sich distanziert, ohne zum
Bodhisattva zu werden.
38. Anstatt dem
Übermenschen vorzuarbeiten, bringen die meisten Menschen die besten Jahre ihres
Lebens damit zu. an der Vernichtung der Welt mitzuarbeiten. Der Platz, den der
einzelne junge Familienvater für „das Auto“ zubetoniert, wird von der Natur in
den seltensten Fällen zurückerobert, wenn sich die Träume des betrogenen
Betrügers zerschlagen haben.
39. Die Sinnfrage stellt
sich dem Unkreativen; sie kommt, wenn einem nichts mehr einfällt. Sollen doch
die Unkreativen an ihrer Sinnsuche und Fragerei zugrunde gehen!
40. „The pure light of chivalry (…) alone
distinguishes the noble from the base, the gentle knight from the churl and the
savage, which rates our life far, far beneath the pitch of our honour; raises
us victorious over pain, toil and suffering, and teaches us to fear no evil but
disgrace. (…) Chivalry! Why, (…) she is the nurse of pure and high affection –
the stay of the oppressed, the redresser of grievances, the curb of the power
of the tyrant – Nobility were but an empty name without her, and liberty finds
the best protection in her lance and her sword.” (Walter Scott: Ivanhoe,
Wordsworth Editions Ltd. o.O. 1995, S. 248) (1)
(1) Die Jacobites und
High Tories versuchten zwischen 1688 und 1745 als fanatische Anhänger der
Stuarts einen heroischen Idealismus und ein Zurückdrehen der Geschichte zu
verwirklichen. Ihr Studium beeinflusste stark Walter Scotts Vorstellungen,
während er „Ivanhoe“ schrieb. In „Ivanhoe“ (S. 247 f.) äußert sich Rebecca wie
Thersites, und Scott lässt den verwundeten Ivanhoe all das begeistert
vortragen, was bei Homer noch als selbstverständlich unausgesprochen bleibt:
das Hohe Lied auf Kampf und Ehre …
41. Was in Thailand
sofort in die Augen fällt, ist die physiologische Verkrüppelung des westlichen
Menschen, bedingt durch Jahrtausende der Widernatur und psychophysischer
Parallelvergewaltigung. Hier kommt man durch unmittelbare Apperzeption zur
Erkenntnis der Verkrüppelung, und der Verstand bietet mögliche Begründungen an,
von denen der intelligente Mensch die richtige annimmt, der dumme die
angenehmste. Dummheit ist eine Form der Genusssucht; deshalb erregt sie auch
Ärgernis; das Christentum ist eine Art Massenbesäufnis. Den Schnaps schenken
die Medien ein.
Journalismus: die widerlichste Form des pekuniären
Voyeurismus von der Zudringlichkeit der Schmeißfliege, mit dem ekelhaften
Anspruch auf Zutritt und Berücksichtigung, - und alles unter dem verlogenen
Mäntelchen der Aufklärung über die Wahrheit und Information. Die Neugier und
Sensationslust, Eigenschaften des Pöbels, werden durch die Medien bedient,
zugleich seine Gier durch Werbung …
42. „Alles Edle ist
an sich stiller Natur und scheint zu schlafen, bis es durch Widerspruch geweckt
und herausgefordert wird.“ (Goethe zu Eckermann, 1.4.1828) „Ein Lump bleibt
freilich ein Lump, und eine kleinliche Natur wird durch einen selbst täglichen
Verkehr mit der Großheit antiker Gesinnungen um keinen Zoll größer werden.“
(Ebd.) Und „quel mal y a-t-il à
être
vaincu? Par la société? C’est un honneur … Par un ennemi? C’est un saute
du vent.“ (Montherlant)
43. „Ein Mensch, der
fern von der größern gesellschaftlichen Welt erzogen worden, der von den
feineren Lebensregeln, von der raffinirten, aber zur Gewohnheit gewordenen
Höflichkeit und dem ganzen Ceremonialgesetz der feineren Welt nichts weiß, der
nur auf sich selbst und nicht auf das, was andere von ihm denken mögen, Acht
hat; ein solcher Mensch wird in den meisten Gesellschaften etwas lächerlich
scheinen, nach ihren Urtheilen ins Grobe fallen, aber naiv genannt werden. (…)
Von welcher Seite her man das Naive untersucht, so zeigt sich, daß es seinen
Ursprung in einer mit richtigem Gefühl begabten, von Kunst, Verstellung, Zwang
und Eitelkeit unverdorbenen Seele habe. Die Einfalt und Offenherzigkeit im
Denken, Handeln und Reden, die mit der Natur übereinstimmt, und auf welche
nichts willkührliches, oder gelerntes von außenher den geringsten Einfluß hat,
(…) scheinet das Wesen des Naiven auszumachen. Es äußert sich in Gedanken, im
Ausdruck, in Empfindungen, in Sitten, Manieren und Handlungen.“ (Sulzer,
Allgemeine Theorie der schönen Künste; „Naiv“)
44. „Kein Hirt und eine Herde! Jeder will das Gleiche, jeder
ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus.“ (Zarathustras
Vorrede, 5.) Die entscheidende Frage ist, ob das Anders-Fühlen ein
soziopsychologisch erklärbarer Wahn bei einzelnen ist, den es zu heilen gilt,
da er in einer „demokratischen“ Gesellschaft schnell mit Leid verbunden ist,
oder ob es tatsächlich Rang-Unterschiede gibt, die festzustellen und als
werteverbürgend festzuhalten sind, notfalls von den Hochrangigen selbst. Wie
aber sollen sich die in der verpesteten Luft des Ressentiments Vereinsamten
solidarisieren, um die ihnen gebührende Macht in der Gesellschaft
wiederzugewinnen? Niemals durch Aufklärung, sondern nur durch Manipulation des
„großen Lümmels“ (Heine) ließe sich etwas ausrichten oder dadurch daß aus
kleinen Kreisen eine neue Art Mensch hervorwächst, die das Gesicht der Erde
verändert. Von Goethes „theatralischer Sendung“ ist man bis zur „Sendung mit
der Maus“ hinabgesunken. Vielleicht birgt die völlige Verblödung der Massen die
Chance, daß sich die Vernunft wieder durchsetzt.
Ja, es ist so: Als Gattungswesen und Gesellschaftswesen sind
alle Menschen beruhigend und erschreckend gleich. Für die allermeisten
beruhigend, wenn und weil sie die ideologische Indoktrinierung ihrer
Gesellschaft, des Volkes, in dem sie leben, über die Zeit retten. Nun gibt es
aber einen speziellen Konsens, der Einzelne aus der Gattung heraus und über sie
hinaus heben kann. Einen solchen Konsens einzugehen, ist ein Abzeichen höheren
Ranges, weil sich hierin eine Macht verrät, die die Gattung zukunftverbürgend
transzendiert.
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