Montag, 29. Januar 2018

Zu Nietzsches "Schatten"

"Worte sind der Seele Bild - Nicht ein Bild! Sie sind ein Schatten!" Diese Feststellung Goethes läßt sich wohl zur Deutung von Nietzsches "Der Wanderer und sein Schatten" heranziehen. "Nun, wir sprechen! Rasch im Fliehn haschen wir des Lebens Gaben." Nietzsche war sich der grundsätzlichen Vorläufigkeit seiner Schriften stets wohl bewußt. Dann hat mich eine Bemerkung Irvin Ribners in seinem Shakespeare-Buch auf eine andere Interpretationsmöglichkeit gebracht. Ribner schreibt, daß fiktive Soldaten auf den Aushebungslisten des 16. Jahrhunderts als "shadows" bezeichnet wurden. Der vorausgeworfene Schatten des Wanderers mögen die erfundenen Neuen Freunde und Weggefährten Zarathustras sein, der virtuelle Übermensch, den es noch einzulösen gilt. Der große Mittag, die Zeit des kürzesten Schattens, ist der Wendepunkt in der Geschichte der Gattung Mensch.

Der Schatten ist auch der Gesprächspartner des Wanderers in einer Art inneren Monologs. Im 4. Teil des Zarathustra ist er gewissermaßen die "Negation" Zarathustras, die Kehrseite: "dünn, schwärzlich, hohl und überlebt" sieht dieser "Nachfolger" aus. Er ist ein "müder Schmetterling", der seine Heimat verlor, jenen Schmetterling Lenaus gleich, der sich aufs offene Meer verirrt. "Du wagtest, eh der Tod dich grüßte, vorflatternd dich ins Geistermeer; du gehst verloren in der Wüste, von Wannen keine Wiederkehr."