Mittwoch, 15. Juni 2016

Balladen

Es sind eigentlich gar keine Kommentare oder, bis auf einige Ausnahmen, nur stumpfsinnige zu meinen Gedanken eingegangen. Da tut vielleicht etwas Auflockerung durch Lyrik gut. Ich rücke hier die bieden Balladen "Thersites" und "Ahasver" ein, in der Hoffnung, daß ihre Botschaften, lyrisch transportiert, besser verstanden werden.




Thersites

„Vor Troja lag vertäut am Strande
die Flotte aus der Griechen Lande
neun Jahre schon auf Sieg erpicht,
doch war kein Ende noch in Sicht.

Und zürnend saß bei seinem Schiffe
Achill, vom Könige entehrt,
versagt das Schwert dem Heldengriffe,
da ihm die Beute ward verwehrt,

die Briseis mit den roten Wangen,
die auf dem Lager er umpfangen:
sie nahm der König als Ersatz
für den verlornen eignen Schatz:

Denn nicht ließ sich Apoll versöhnen,
bis er die Chryseis gab zurück
dem Vater, der als Priester tönend
beim Gott beklagte ihr Geschick.

Nur durch Athene sanft bezwungen,
ward dem Achill die Beut entrungen;
mit Agamemnon ganz entzweit,
klagt er der Mutter laut sein Leid.

Und Thetis, von dem Sohn gerühret,
eilt hin zu Zeus, umfasst sein Knie,
daß Troja er zum Siege führet,
bis daß ihr Sohn den Raub verzieh.

Zeus nickte heimlich ihr Gewährung,
und zu der Griechen Leidvermehrung
täuscht den Atriden er im Traum,
Ilions Feste zu zerhaun.

Odysseus heißt die müden Scharen
sich rüsten für den letzten Streit,
und die zuvor verdrossen waren,
begeistert er, zum Kampf bereit.

Nur einer, häßlich ohnegleichen,
vor dem die andern eklig weichen,
das Auge scheel und lahm der Fuß,
spitzköpfig, von engbrüstgem Wuchs,

Thersites mit den schüttern Haaren,
wie stets zum Widerspruch bereit,
der Wahrheit Freund in vielen Jahren,
erhebt die schrille Stimm und schreit:

Ihr Narren rennt in Krieg und Sterben
und häuft Verderben auf Verderben,
damit ein Einzger Reichtum häuft,
das Fett ihm von den Backen träuft

und junge Weiber ohne Ende
ihm gehen über Leib und Lende!
Hat er von allem nicht genug?
Wie lang noch frönt ihr dem Betrug?

Selbst dem Achill, dem bessern Manne,
hat er den Ehrenpreis geraubt,
der schlaff wie ihr und sonder Galle
noch an den eitlen Führer glaubt.

Fahrt heim, spielt Frieden, nicht den Helden,
treibt Handel dort, nicht Unsinn hier,
sonst müßte ich der Welt vermelden:
Der Griech ist Mensch nicht, ist ein Tier!“

„Der Mann spricht wahr“, denkt jeder düster;
was Bias sagte, wird Geflüster:
die Meisten in der Welt sind schlecht;
der Häßlichste allein hat recht!

Was aber, wenn die Wahrheit siegte?
Sich Krüppelspiel im Tanze wiegte?
Wenn nur noch Lästerred und Spott
sich drehten um das Gold als Gott?

Da gibt Odysseus mit dem Stabe,
daß ihm der Rücken blutig kracht,
dem Schwätzer die verdiente Gabe,
und alles atmet auf und lacht.




Ahasver

Einst zog im finstern Judenlande,
wo alles umgekehrt geschah,
als man es bei den Völkern kannte,
von Männern eine Zwölferschar,
die einem Jesus Achtung zollte,
der zwar die Welt erlösen wollte,
doch zu den Fischern sich gehockt,
sie von der Arbeit weggelockt.
Und viele lauschten seinen Reden,
und als er in die Hauptstadt kam,
da nannt’ er Bruder einen jeden,
der ihn zu sich nach Hause nahm.

So sprach der jugendliche Tor
auch oft bei einem Schuster vor,
der anders als so mancher Scheele
bei seinen Leisten blieb. Der mocht’
den Jüngling ob der treuen Seele,
obwohl ihm oft die Galle kocht,
wenn der den Weibertröster spielt
und alles auf die Liebe setzt,
bei jedem auf Belehrung zielt,
sich in der Wirklichkeit verschätzt,
zu allem Ja und Amen sagt,
ob man ihn schlägt, verlacht, verjagt.

„Du bist ein echter Idiot
und bringst am Ende dich in Not
und täuschst die Narren, die dir folgen.
Die Obrigkeit beäugt dich schon!
Wenn sich die Schelme schließlich balgen,
bist du im Nu der Hurensohn,
obgleich du nimmer Streit gesucht!
Ich mag dich doch und muß dich warnen,
daß man am Ende dich verflucht.
Laß mich den Pöbel dir enttarnen!
Sie sitzen heut mit dir am Tisch

und brechen Brot, - und morgen dich!

Vor allen dieser Judas-Schleicher,
der spitzelt für die Obrigkeit!
Jetzt hofft er noch, du machst ihn reicher,
bald ist er zum Betrug bereit.“
Doch Jesus hört auf keinen Rat:
als genialer Psychopath
wähnt er sich schon als Gottes Sohn
neben dem Vater auf dem Thron.
Ihn kam die Welt schon längst abhanden,
und bald war ihm die Zeit zu lang,
er dünkt sich frei von allen Banden
und pocht auf seinen Untergang.

Verurteilt ward zum Tod am Brett
der Prediger aus Nazareth.
Da er ein Weiberweichling war,
ward schwer der Gang nach Golgatha;
und wie er da so schwitzt und keucht,
ein dummes Weib kommt angefleucht,
belästigt ihn mit einem Tuch,
entlockt ihm seinen ersten Fluch.
Just vor Ahasvers Werkstatt fällt
er unterm Kreuz, der Schuster gellt:
„Verdammter Narr, bist selber schuld!“
Das Weibsstück sich in Tränen suhlt.

Von ferne naht sein Mütterlein,
den Sohn vom Holz zu pflücken heim;
die Jünger flohn, er ist allein,
dem Schuster stockt im Schlund der Schleim.
Da blickt ihm Jesus ins Gesicht:
„Hast recht, Erlösung fruchtet nicht,
nur Treue auf den Wanderwegen.
So geb ich dir den letzten Segen:
Du wirst zum Augenblick nicht sagen:
„Verweile doch, du bist so schön!“
wirst weigern dich, ein Kreuz zu tragen,
wirst deshalb nie zugrunde gehen!“